Der Rosenkranz

von P. Miguel Stegmaier


„Salutate Mariam! Quae multum laboravit in vobis“ – Grüßet Maria, die sich für euch so sehr abgemüht hat (Röm 16, 6).

Im 4. Jahrhundert kam der hl. Bischof und Kirchenlehrer Gregor von Nazianz, mit dem Beinahmen „Der Theologe“, auf die Idee, Maria gegenüber seine Verehrung und Liebe darzubringen, indem er statt eines Kranzes aus Rosen einen Kranz aus Gebeten und Liedern ersann, die aus den tiefen Empfindungen seines andächtigen Herzens hervorkamen.

Der Inhalt dieser Gebete und Lieder pries und verherrlichte die Tugenden Mariens, ihre Demut, ihr Gottvertrauen, ihren Gehorsam, ihre Jungfräulichkeit, ihren Leidensmut, ihre Macht und Güte, ihre Muttersorge und Treue.

Der hl. Gregor lud an den Muttergottesfesten die Gemeinde zum Mitbeten ein, und die Erfindung dieses Gebetskranzes (lateinisch: corona praecum) fand großen und freudigen Beifall beim katholischen Volk.

Was ist nun ein Rosenkranz?

1) Der Rosenkranz ist eigentlich ein Kranz mündlichen Gebetes.

Was bedeutet „beten“? „Beten“ heißt, „sein Herz zu Gott erheben“ (sursum corda), und „ihn um Gnade zu bitten“ (preces). Beten heißt, fromm mit Gott oder mit seinen Heiligen zu sprechen (pia conversatio). Wir beten also, wenn wir ganz bei Gott sind, wenn wir seine Größe bewundern, wenn wir unsere Armseligkeit, unsere Hilflosigkeit ihm eingestehen und ihn um seine Hilfe bitten: „Deus in auxilium meum respice“ ( Ps. 39, 1) – Herr, sei bedacht, mir zu helfen. Wenn wir in bestimmten Worten unseren Gefühlen Ausdruck geben, dann haben wir das mündliche Gebet, wenn wir nur an ihn denken, wenn wir ganz aufmerksam sind auf seine Worte, wenn wir mit unserm Herzen bei Gott sind, daß wir bestrebt sind, alle Gedanken, die Gott mißfallen, aus unserm Herzen zu entfernen. Die hl. Theresia vom Kinde Jesu sagt ähnlicherweise über das Gebet: „Für mich ist das Gebet ein Schwung des Herzens, ein einfacher Blick zum Himmel, ein Ausruf der Liebe und Dankbarkeit mitten aus der Prüfung, mitten aus dem Glück. Kurz, es ist etwas Erhabenes und Übernatürliches, das die Seele ausweitet und sie mit Gott vereint.“

Allerdings, den meisten Menschen ist es nicht gegeben, ihre Gefühle mit ihren eigenen Worten frei und leicht auszudrücken, sie brauchen deshalb „mündliche Gebete“, die sie entweder auswendig gelernt haben oder aus einem Buch ablesen. Aber die Qualität des Gebetes hängt nicht vom Aufsagen langer Gebetsformeln und nicht vom langen Lesen in einem Gebetbuch ab, sondern von der guten Gesinnung, die die Menschen Gott gegenüber bezeugen. Für Gott ist nicht die Quantität des Gebetes, sondern mehr ihre Qualität wichtig. Der Heiland sagt: „Auch sollt ihr beim Gebete nicht viele Worte machen, wie die Heiden, die meinen, sie würden wegen ihrer vielen Worte erhört“ (Mt. 6, 7).

Die Qualität ist also im wesentlichen eine Frage des Inhalts. Im Rosenkranz haben wir nicht irgendein Gebet vor uns, das Menschen gemacht haben, sondern ein Gebet des Herrn, das „Vater unser“, das wir von Jesus selbst gelernt haben und das „Ave Maria“, den englischen Gruß, vom Erzengel Gabriel zuerst gesprochen, der von Gott gesandt war.

Das „Vater unser“ enthält so herrliche Bitten, daß wir es ruhig öfter hersagen können. Und das „Ave Maria“ ist eine ehrfurchtsvolle Begrüßung der Muttergottes, die nicht nur ein großer Heiliger, sondern ein Bote Gottes gesprochen hat. Diese beiden Gebete erheben also mit Leichtigkeit unser Herz zu Gott, wir können Gott Vater und die allerseligste Jungfrau niemals mit schöneren Worten preisen, als wenn wir diese beiden Gebete sprechen. Wenn wir also das „Vater unser“ und das „Ave Maria“ sprechen, gehen wir gewissermaßen an der Hand der Muttergottes zum himmlischen Vater und vereinigen unser schwaches Gebet mit dem Gebet der größten Heiligen, um Gott würdig zu preisen. In der Tat vereinigen wir uns mit großen Heiligen, die ständig den Rosenkranz beteten; z.B. ließ der hl. Pius V, ungeachtet seiner vielen Geschäfte, keinen Tag vorübergehen, ohne den Rosenkranz zu beten. Der hl. Karl Borromäus betete ihn gleichfalls täglich. In seiner Domkirche zu Mailand errichtete er die Rosenkranzbruderschaft, bei deren Versammlungen er häufig selbst den Rosenkranz vorbetete. Der hl. Johannes Berchmans, Jesuit, wollte mit dem Rosenkranz in der Hand sterben. Der hl. Franz Xaver heilte die Kranken durch Berührung mit dem Rosenkranz. Der hl. Franz von Sales und der hl. Alfons von Liguori hatten sich durch ein Gelübde verpflichtet, alle Tage den Rosenkranz zu beten.

2) Der Rosenkranz ist ein Mariengebet und ein vertrauensvolles Gebet.

Wir sehen im Rosenkranz, wie Maria bei allen Geheimnissen der Erlösung beteiligt ist, wir ergreifen im „Ave Maria“ ihre Hand und betrachten gemeinsam mit ihr die Geheimnisse des Lebens und Todes Jesu Christi, damit sie uns den Heiland vorstelle und an unserer Stelle für uns bitte.

Nun, das Psalterium Mariae (Psalter Mariä) oder Rosarium (Rosenkranz) besteht darin, daß man nach vorausgeschicktem apostolischem Glaubensbekenntnis, fünfzehn Mal das Gebet des Herrn mit dem Verherrlichungspruche: „Ehre sei dem Vater“, und einhundertfünfzig Mal den englischen Gruß betet, wobei die fünfzehn Geheimnisse des Erlösers und seiner heiligsten Mutter zur Betrachtung beigefügt werden. Der ganze Rosenkranz zerfällt wieder in drei Teile, in fünf „Vater unser“ und fünfzig englische Grüße, die „decades“ – Gesetze genannt werden. Die beigefügten Geheimnisse scheinen diese Abteilung hervorgebracht zu haben. Der erste Teil enthält die fünf vorzüglichsten Geheimnisse der Menschwerdung (Mysteria gaudiosa); der zweite die des Leidens (Mysteria dolorosa); der dritte die der Verherrlichung (Mysteria gloriosa); Papst Johannes Paul II fügte dem Rosenkranz mit dem Apostolischen Schreiben Rosarium Virginis Mariae vom 16. Oktober 2002 die lichtreichen Geheimnisse hinzu. Diese nennen Glaubensgeheimnisse zwischen Kindheit und Leiden Jesu und ergänzen die drei klassischen Formen (freudenreicher, schmerzhafter und glorreicher Rosenkranz).

Die Abfassung und Einteilung des Rosenkranzes in bestimmte Gesetze oder Absätze mit abwechselndem „Vater unser“ und zehn „Ave Maria“, sowie der beigemischten Betrachtung der Geheimnisse des Lebens, Leidens und der Verherrlichung unseres Erlösers, mit einem Wort, der Rosenkranz, wie wir ihn gewöhnlich beten, rührt wohl vom hl. Dominikus, Stifter des Prediger-Ordens oder Dominikaner, her, der im dreizehnten Jahrhundert lebte. Etwas dem Rosenkranz ähnliches hatte man jedoch schon früher. Bereits im vierten Jahrhundert hat der hl. Bischof Gregor von Nazianz einen Kranz aus Gebeten und Liedern zur Ehre der Gottesmutter komponiert. Im elften Jahrhundert bestimmte der hl. Abt Johannes Walbert: diejenigen unter seinen Mönchen, welche nicht Priester waren und kein Latein verstanden, also die lateinischen Psalmen im Chor nicht mitsingen konnten, sollten statt dessen eine gewisse Anzahl „Vater unser“ und „Ave Maria“ beten. Zum Abzählen bedienten sie sich gewisser Körner, welche sie an ihrem Gürtel angehängt trugen. Sogar in den ersten Jahrhunderten gebrauchten die Einsiedler schon kleine Steinchen oder sonstige Zeichen, um damit ihre Gebete abzuzählen.

Die Benennung „Rosenkranz“ soll durch eine wunderbare Begebenheit entstanden sein. Die hl. Rosalia, eine nahe Verwandte Kaiser Karls des Großen, hatte in ihrer Einöde eine Schnur mit vielen kleinen Körnern, die sie in ihrer Hand trug und woran sie wohl auch betete, und an deren Spitze ein kleines Kreuz hing. Der Name Rosalia, kann vielleicht eine Veranlassung zu der Benennung „Rosenkranz“ gewesen sein. Jedenfalls kommt er auch durch den Vergleich Mariens mit einer Rose. Schon die heilige Schrift sagt von ihr nach der Auslegung der Kirche: „Wie eine Rosenstaude wuchs ich“, und wir nennen sie in der „Laurentanischen Litanei“ die „rosa mystica“ (geheimnisvolle Rose). Maria heißt deshalb die „geheimnisvolle Rose“, weil sie gleich dieser Blume durch ihre Lieblichkeit, durch den herrlichen Blumenduft der schönsten Tugenden sich ausgezeichnet und weil sie, wie die Rose, die vornehmste unter den Blumen, die schönste, die höchste, die Königin aller Menschen und Engel ist. Wie der allweise Schöpfer der Rose die Dornen gegeben hat zum Schutz, so war auch Marias jungfräuliche Reinheit durch den doppelten Dornenzaun der Makellosigkeit und sittsamer Zurückgezogenheit gegen die Gefahren der Welt gesichert.

Der Rosenkranz stellt uns vor, was Gott alles für uns getan hat, um uns an sich zu ziehen. Er stellt uns das ganze Erlösungswerk Christi vor und leitet uns an, die Güte Gottes in diesen Geheimnissen zu betrachten. Darum tun wir recht daran, den Rosenkranz zu beginnen mit dem Glaubensbekenntnis. Wir beten dann zuerst um die drei göttlichen Tugenden: Glaube, Hoffnung und Liebe, um das richtige Verhältnis zu Gott zu finden, und dann ist jedes Geheimnis eine so nachdrückliche Predigt von der Liebe Gottes zu uns, daß es uns nicht schwer fallen kann, diesem gütigen Gott unsere Anliegen mit unbeschränktem Vertrauen vorzutragen.

Der Rosenkranz ist endlich eine wahre Schule des Gebetes und eine Schule der Marienverehrung. Was für den Priester sein Brevier, das ist für den Gläubigen der Rosenkranz. Alle guten Eigenschaften des Gebetes können wir hier lernen, alle unsere Stimmungen in ihn hineinlegen. Die großen Feste des Kirchenjahres kehren in seinen Geheimnissen wieder, die Gnade Gottes können wir durch ihn erflehen, unsere Sorgen und Nöte tragen wir im Rosenkranz zu Maria und schöpfen aus seinen Geheimnissen Trost und Kraft. Wenn man um unsere im Tode erkalteten Hände den Rosenkranz schlingt, wie es der Wunsch des hl. Johannes Berchmans war, so soll das nicht ein inhaltsloser Brauch sein. Nein! Sondern das Bekenntnis, daß wir im Tod durch den Rosenkranz Hilfe von Maria erwarten. So können wir mit jedem „Ave Maria“ im Stillen das Gebet verbinden: „O Gott, du hast Großes an uns getan. Siehe, wir vertrauen auf dich, daß du uns die Gnade deiner Erlösung zuwenden und unser Gebet erhören wirst.“

Königin des heiligen Rosenkranzes, bitte für uns!