Zum 5. Sonntag nach Pfingsten

(14.07.2019) / von Pater Marc Brüllingen

Erneut ist im heutigen Evangelium (Mt 5,20-24) die Rede von der Nächstenliebe. Es sind ernste, strenge Worte, die der Heiland an die Adresse der Pharisäer und Schriftgelehrten richtet. In der äußerlichen Erfüllung des Gesetzes, der peinlichen beobachtung all der bestimmungen der jüdischen Moral- und Ritualvorschriften sahen sie die „Gerechtigkeit“, die wahre Heiligkeit und höchste Vollkommenheit.

Dabei war ihr Herz voller Arglist, Bosheit und Falschheit, voller Grimm und Rachsucht gegen alle, die sie als ihre Feinde ansahen, besonders gegen den verhaßten Galiläer. Ihm, der sie bis auf den Grund ihrer heimtückischen Seele erkannte und durchschaute und sich auch nicht scheute, sie vor allem Volke anzuprangern, wie sie’s verdienten, hatten sie unversöhnliche Feindschaft geschworen!

So verstehen wir denn die Warnung Jesu an das Volk: „Wenn euere Gerechtigkeit nicht vollkommener ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht ins Himmelreich eingehen!“ Man muß eben die Mentalität, die ganze geistige Verfassung der damaligen Juden, insbesondere der Pharisäer und Schriftgelehrten richtig kennen, um den Sinn dieser Worte voll und ganz zu erfassen.

Wer den Haß gegen den Feind zum obersten Gesetze macht, der sieht alles als erlaubt an, jedes Mittel, den Feind zu verderben, die Rache zu kühlen: List, Heuchelei, Verstellung, Lüge und Verleumdung. Wie meisterhaft haben eben dieselben Pharisäer und Schriftgelehrten diese „Kunst“ verstanden, als es galt, ihren größten Feind, Jesum von Nazareth, zu Fall zu bringen!

So werden auch die Worte umso verständlicher, die Christus zur Erläuterung und zur Illustrierung des Gesagten beifügt: „Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt worden: Du sollst nicht töten! Wenn einer tötet, ist er dem Gericht verfallen. Ich aber sage euch: Wer über seinen Bruder zürnt, ist dem Gerichte verfallen!“

Wie weit strenger ist doch seine Forderung wahrer Nächstenliebe! Nicht bloß die Tat, nein, auch schon der Gedanke und der Wille, dem Nächsten zu schaden, ist eine Sünde. Und er geht noch weiter: Selbst jedes Schimpfwort, jede Beleidigung und Kränkung des Mitmenschen verdient Strafe Gottes! Sind doch alle Menschen unsere Brüder, weil Gott unser aller Vater ist, der im Himmel wohnt!

Und so ergibt sich daraus von selbst die Mahnung aus dem Munde Jesu: „Wenn du also deine Gabe zum Altare bringst und dich daselbst erinnerst, daß dein Bruder etwas gegen dich hat, so lasse deine Gabe dort vor dem Altare und gehe hin, versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, und dann komm und opfere deine Gabe!“

Wichtiger noch und wohlgefälliger als die Opfergabe, das will der Heiland besagen, ist in den Augen Gottes, des Allwissenden und Allgerechten, die Erfüllung seines Gebotes: Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst! Er, vor dessen allgegenwärtigem Auge nichts verborgen ist, der Herz und Nieren durchforscht und hineinschaut bis in die geheimsten Falten der Seele, sieht vor allem auf die Gesinnung des Herzens und spricht danach sein Urteil über den Menschen.

Und dies sein Urteil bleibt unabänderlich, unwiderruflich. Denn vor Gott dem Herrn gilt kein Ansehen der Person. Was immer der Mensch Böses denkt und sagt von seinem Nebenmenschen, was er gegen ihn tut und unternimmt, findet seinen strengen, unerbittlichen Richter, wenn nicht hienieden schon, so doch in der Ewigkeit!

Wie der göttliche Heiland dies sein Gebot verstanden haben will, hat er unzweideutig erklärt: „Ihr wisst, daß den Alten gesagt wurde. Hasset eure Feinde! Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde! Tut Gutes denen, die euch hassen, betet für jene, die euch verfolgen und verleumden, damit ihr Kinder dessen seid, der seine Sonne aufgehen läßt über Gute und Böse und regnen läßt über Gerechte und Ungerechte!“

Wer Haß und Feindschaft im Herzen trägt wider seinen Nächsten, belügt sich selbst, wenn er zum Vater betet, der im Himmel ist: „Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern!“ Derjenige, der diese Bitte uns gelehrt, hat uns durch sein Beispiel gezeigt, wie sie auch in die Tat umzusetzen ist, dadurch, daß wir dem Nächsten von Herzen verzeihen. Denn nur dann dürfen wir auch Vergebung erhoffen für unsere eigenen Sünden.

An Großmut läßt sich Gott wahrlich von niemandem übertreffen. Und nur wer großmütig verzeiht, ist seiner auch würdig. Darin unterscheidet sich das Christentum vom Heidentum, dem alten und neuen, sowie den anderen Religionen, auch der jüdischen, daß es die Religion der Liebe und Versöhnung ist: „Daran sollen sie euch erkennen, daß ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebet, wie ich euch geliebt habe!“

(nach: August Schmidlin, Empor die Herzen – Lesungen für die Sonn – und Festtage des Kirchenjahres; 1941, Verlagsbuchhandlung zum Münster, A.G., Straßburg)

Vorwort zum Juli-Rundbrief

Liebe Gläubige, Freunde und Wohltäter,

die heilige Kirche Gottes befindet sich in einem Zustand, den noch vor Jahrzehnten wohl kaum jemand hat vorhersagen können, so daß die Frage des Herrn, ob der Menschensohn noch Glauben finden werde, wenn er  wiederkommt, schon im hier und jetzt eine Antwort zu finden scheint, nämlich: wohl kaum. Der junge Priester Joseph Ratzinger und spätere Papst Benedikt, hat sich indes bereits 1958 mit der Frage beschäftigt und kam zu dem Ergebnis, „im Herzen der Kirche“ wachse ein neues Heidentum. Aus dieser visionären Schrift, bringen wir nun den ersten Abschnitt und empfehlen Ihnen den Beitrag zur weiteren Lektüre. Unter dem Titel: „Die neuen Heiden und die Kirche“ erschien dieser Vortrag in der Zeitschrift „Hochland“ in der Oktoberausgabe 1958.

Es grüßt Sie herzlich, Ihr

Pater A. Fuisting


Nach der Religionstatistik ist das alte Europa noch immer ein fast vollständig christlicher Erdteil. Aber es gibt wohl kaum einen zweiten Fall, in dem jedermann so genau wie hier weiß, daß die Statistik täuscht: Dieses dem Namen nach christliche Europa ist seit rund vierhundert Jahren zur Geburtsstätte eines neuen Heidentums geworden, das im Herzen der Kirche selbst unaufhaltsam wächst und sie von innen her auszuhöhlen droht. Das Erscheinungsbild der Kirche der Neuzeit ist wesentlich davon bestimmt, daß sie auf eine ganz neue Weise Kirche der Heiden geworden ist und noch immer mehr wird: nicht wie einst, Kirche aus den Heiden, die zu Christen geworden sind, sondern Kirche von Heiden, die sich noch Christen nennen, aber in Wahrheit zu Heiden wurden. Das Heidentum sitzt heute in der Kirche selbst, und gerade das ist das Kennzeichnende sowohl der Kirche unserer Tage wie auch des neuen Heidentums, daß es sich um ein Heidentum in der Kirche handelt und um eine Kirche, in deren Herzen das Heidentum lebt. Der Mensch von heute kann also als Normalfall den Unglauben seines Nachbarn voraussetzen.