Jesus vor Pilatus

von Pater Marc Brüllingen


Jesus steht in souveräner Größe und königlicher Hoheit vor dem Volk und Pontius Pilatus, dem römischen Landpfleger. Äußerlich scheint es so, als wäre Jesus ohne Macht, allein, ohne Hilfe, und doch spricht er furchtlos von der wahren Größe, dem wahren Reich und der wahren Macht, die ihm gegeben ist.

Die Worte Jesu enthalten ein Zweifaches. Zunächst einmal enthalten sie das Bekenntnis seiner königlichen Größe und seines Reiches, das nicht von dieser Welt ist und somit alle anderen Reiche überragt.

Seine Worte sind aber auch als Appell an das Gewissen des Pilatus zu verstehen. Jesus ist in diese Welt gekommen, damit er für die Wahrheit Zeugnis ablege. Wenn es Pilatus wirklich um die Wahrheit gehen sollte, wird er innerlich die Stimme Christi als die Stimme der Wahrheit und folglich als Stimme Gottes erkennen.

Doch Pilatus weicht mit seiner skeptischen Frage aus: „Was ist Wahrheit?“ Trotzdem ist ihm die Unschuld des Angeklagten nun klar, und er will ihn auch freigeben. Aber um das Volk der Juden zu beruhigen, gleichsam als Kompromiß, will er einen berüchtigten Bandenführer, der wegen eines Aufruhrs und Mordes ins Gefängnis gekommen war, freilassen. Schon die Gegenüberstellung des Heilandes und eines Mörders stellt schon eine tiefe Demütigung dar.

Daraufhin läßt Pilatus Christus geißeln, um dem Volk der Juden eine Art Genugtuung bieten zu können. Aber auch diese schreckliche römische Geißelung, die Jesus erfährt, erreicht nicht die Wirkung, um das Volk umzustimmen, es verspürt kein Mitleid und fordert immer mehr in lautem Haß die Kreuzigung Jesu.

Und auch hier spricht Pilatus. „Ich finde keine Schuld an ihm.“ Jesus erwidert kein Wort. Sein Schweigen und Dulden zeigt hier seine seelische Größe. Die Schmerzen seiner Geißelung und Dornenkrönung sind unerträglich und doch sind die seelischen Schmerzen größer.

Es zeigt sich, daß sich Pilatus immer mehr als schwacher Mensch erweist. Obwohl er mehrere Ausweichversuche unternimmt sowie Unschuldsvermutungen formuliert, verurteilt er Christus dann doch zum Tod. Die Behauptung, daß Jesu der Sohn Gottes sei, erweckt in ihm eine abergläubische Furcht. Und der Vorwurf: „Wenn du diesen freiläßt, bist du kein Freund des Kaisers“, erinnert ihn daran, daß er schon einmal wegen unnötiger Verletzung der Religion der Juden beim Kaiser verklagt worden war. Deshalb befürchtete er, bei erneuter Klage, die kaiserliche Gunst ganz zu verlieren. Pilatus ist Vertreter äußerer Macht und Größe, aber ein schwacher und kleiner Mensch, ein im Tiefsten furchtsamer Charakter, der seine Furcht durch sein forsches Auftreten zu verbergen sucht, ein Mensch, der in der entscheidenden Stunde seines Lebens versagt.

Ganz anders dagegen Jesus: Er steht in ruhiger Würde und Gelassenheit vor seinem ungerechten Richter. Äußerlich in Ohnmacht, so scheint es, innerlich dagegen groß und mächtig. Er weiß, wie der Prozeß ausgehen wird und daß der Wille des himmlischen Vaters erfüllt wird. Furchtlos spricht er deshalb zu Pilatus. „Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dier nicht von oben gegeben wäre.“

Die Menschenfurcht des Pilatus siegt und so übergibt er Jesus seinen Feinden zur Kreuzigung. Die Juden schlagen ihren eigenen gottergebenen König, den meschgewordenen Sohn Gottes ans Kreuz. Das Volk Israel verwirft Gott und wird von Gott selbst verworfen, bis zu dem Tag, an dem es sich bekehrt und Gott sich seiner erbarmt.

Es liegt etwas Erhabenes in diesem Moment: Es ist der weltgeschichtliche Augenblick, in welchem Gott durch Menschen verworfen und der Gottmensch durch Menschen getötet wird. Und trotzdem ist und bleibt die Gnade Gottes größer als die Sünden der Menschen, und daß Gott auch das Böse zum Guten lenken kann und wir die Hoffnung haben dürfen, daß er uns in seiner Liebe verzeiht, weil seine Liebe größer ist als unser menschliches Tun.

Dieses Mißverhältnis zwischen äußerer Macht des Staates und rein innerlich geistiger Macht des Reiches Gottes hat seit Christus gedauert durch alle Jahrhunderte und wird dauern bis zum Ende der Tage. Bald in friedlicher Auseinandersetzung, bald in blutiger Verfolgung und Unterdrückung. Der Kampf zwischen Kirche und Staat, zwischen geistlichem und weltlichem Recht. Der Staat will sich nicht damit abfinden, daß es eine Gesellschaft gibt, die von ihm unabhängig ist und die aus eigener Machtvollkommenheit Entscheidungen trifft. Trotzdem gehen beide Mächte auf Gott zurück. „Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre.“

Die Kirche ist daran gewöhnt, Verleumdungen zu erdulden, den Auseinandersetzungen staatlicher Gewalt ausgeliefert zu sein. Das „Kreuzige“ gehört wesentlich zu ihrer Geschichte. Doch schreitet sie wie der göttliche Meister mit erhobenem Haupt voran, unberührt von allen Verfolgungen und Angriffen seitens ihrer Feinde. Gott beschützt die Kirche. Das Reich Gottes ist nicht von dieser Welt, aber es ist in dieser Welt. Aus diesem Grund muß es sich mit dieser Welt auseinandersetzen und auf die Mächte der Welt treffen.

Vorwort zum März-Rundbrief 2023

Liebe Gläubige,

am 28. Dezember feierten wir den 400. Todestag des hl. Franz von Sales (1567-1622). Dieser große Reformbischof von Genf, der als junger Priester im Auftrag seines Bischofs das calvinistisch gewordene Chablais nach drei Jahren mit hohem Einsatz und viel Geduld fast im Alleingang für den katholischen Glauben zurückgewinnen konnte, bezeichnete das religiöse Unwissen als die „achte Hauptsünde“. Er war der Überzeugung, dass es die Ursache zahlreicher Sünden ist und einer der Hauptgründe, dass viele Seelen verloren gehen. Was für das Jahrhundert der Reformationszeit gilt, trifft ebenso auf unsere Zeit zu. Die religiöse Unwissenheit, meistens durch Gleichgültigkeit Gott gegenüber bedingt, ist bei vielen Katholiken eklatant. Elementare Glaubenswahrheiten sind vielen getauften Katholiken unbekannt, gravierende Irrtümer in Fragen des Glaubens und der Moral sind die Folgen. Hinzu kommt, dass durch eine antichristliche Geistesströmung, die inzwischen alle Bereiche des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens durchdringt, auch die natürliche Vernunft, die sich am natürlichen Sittengesetz orientiert, sehr beeinträchtigt wird. Nur so ist es denkbar, dass heutzutage Homoehe, Abtreibung und Euthanasie große Zustimmung finden bis in offiziell christliche Kreise hinein.

Was früher für gläubige Christen absolut tabu war, wird inzwischen sogar schon von Bischöfen und Priestern für diskutabel oder sogar akzeptabel gehalten.

Warum „flüchten“ so viele Gläubige in Gemeinschaften wie die Petrusbruderschaft? Etwa weil ihnen das Latein in der Liturgie oder der Gregorianische Choral fehlt? Das trifft sicherlich auf einen Teil zu. Deutlich mehr kommen allerdings vor allem deshalb zu uns, weil sie eine katholische Verkündigung und Katechese sowie eine persönliche Seelsorge in ihren Pfarreien weitgehend vermissen. Etliche Eltern beklagen sich darüber, dass ihren Kindern bei der Vorbereitung auf die Erstkommunion und Firmung eine gediegene Unterweisung und Katechese vorenthalten wurde. Die Folgen kann man jeden Sonntag in zahlreichen Kirchen sehen, in der junge Leute fast nicht mehr existent sind. Solche, die noch im Glauben stehen oder zum Glauben zurückgefunden haben, suchen dann verständlicherweise nach Alternativen und stoßen häufig über das Internet oder gute Tipps von Gläubigen auf Gemeinschaften wie die der Petrusbruderschaft. Und dieser „Flüchtlingsstrom“ wird sich in der Zukunft nach menschlichem Ermessen eher noch verstärken, denn eine Aussicht auf verbesserte Verhältnisse ist gegenwärtig nicht in Sicht. Hinzu kommt, dass viele gute Priester in ihren Pfarreien auf verlorenem Posten stehen, weil Strukturen entstanden sind, in denen sie immer weniger Einfluss besitzen, während „mündige“ Laien, die oft wenig Glaubenswissen besitzen oder bewusst die kirchliche Lehre ignorieren, das große Sagen haben. Vielfach ist nicht mehr die Fachkompetenz gefragt oder das entscheidende Kriterium, was wir ja leider auch in der Politik und in der Wirtschaft teilweise erleben.

Doch wir wollen nicht beim Kritisieren dieser beklagenswerten Zustände stehen bleiben, sondern versuchen, das Beste daraus zu machen. Für uns muss neben der würdigen Feier der hl. Messe und der Spendung der hl. Sakramente, die Glaubensweitergabe durch Predigt, Katechese und Vorträge von entsprechender Priorität sein. Diese Angebote werden von erfreulich vielen Gläubigen angenommen. Eine wichtige Ergänzung dazu bildet eine gute geistliche Literatur. Ich kann immer nur dazu appellieren, diese Angebote zu nutzen, um so das persönliche Glaubenswissen auf ein höheres Niveau zu bringen. Das dient nicht nur dem Schutz vor Irrtum, sondern ist von großer Bedeutung für den Fortschritt im geistlichen Leben. Viele fromme Leute investieren viel Zeit ins mündliche Gebet, vernachlässigen aber die geistliche Bildung, die vom Gebetsleben nicht zu trennen ist. Die Glaubenskrise hat in positivem Sinne etliche Priester und Laien aus dem Schlaf geweckt und animiert, sich für den wahren Glauben zu engagieren. So wächst mittlerweile innerhalb der Kirche eine Reformbewegung, die bereits gute Früchte trägt. Es überrascht nicht, dass bei einem großen Teil dieser innerkirchlichen Reformbewegung die überlieferte Liturgie auf vermehrtes Interesse stößt. Daran hat freilich auch der verstorbene Papst Benedikt XVI. mit seinen Schriften und mit seinem Motu Proprio  „Summorum Pontificum“ aus dem Jahre 2007, das die allgemeine Freigabe des Ritus von 1962 zum Inhalt hatte, einen hohen Anteil. Hoffen und beten wir, dass sich die Katastrophe der 70er Jahre nicht wiederholt, als man den alten Ritus mit großer Härte zu unterdrücken suchte, mit schmerzlichen Folgen, wie wir alle wissen …

In diesem Sinne grüßt Sie herzlich

Ihr Pater Gerstle