Der hl. Papst Gregor VII.

geb. um 1020; gest. 25.5.1085 in Salerno (25. Mai)
von P. Marc Brüllingen


Was über ihn und seinen Kampf mit dem deutschen König Heinrich IV. von Freunden und Gegnern geschrieben wurde, füllt eine ganze Bibliothek. Die Gründe und Hintergründe dieses Kampfes werden ewig umstritten bleiben, nicht aber die Persönlichkeit des Papstes, dem Gott die schwere Aufgabe zuteilte, die Freiheit der Kirche gegen staatliche Lebensnotwendigkeiten und Machtansprüche abzugrenzen und zu verteidigen. Er ist, äußerlich gesehen, in dem ungleichen Ringen unterlegen, aber noch im Untergang wächst seine Gestalt zu einer heroischen Größe, die auch seine oft mißverstandene kirchenpolitische Haltung aus der Enge persönlichen Ehrgeizes in die Weite geistig-sittlichen Verantwortungsbewußtseins rückt.

Gregor oder Hildebrand, wie er vor seiner Erhebung zum Papst hieß, kam aus dem Volk. Zu Savona in Toskana war er um das Jahr 1020 geboren. Eigentliche Heimat aber wurde ihm Rom, wo er wahrscheinlich im Marienkloster auf dem Aventin lebte und von dem nachmaligen Papst Gregor VI. in den strengen Traditionen der Kirche erzogen wurde. Ob er auch Mönch von Cluny war, ist nicht sicher bezeugt. Wichtiger ist, daß er den Reformideen, die von Cluny ausgingen, mit ganzer Seele anhing und in dem deutschen Papst Leo IX. einen väterlichen Freund fand, der ihm die Erneuerung des römischen Paulusklosters anvertraute. Schon jetzt gewann er tätigen Anteil an der Leitung der Kirche. Mehrmals ging er als Legat des Papstes nach Frankreich und an den deutschen Hof, um im Sinne der Reform zu wirken. Alexander II. machte den eifrigen Anwalt der kirchlichen Interessen zum Archidiakon und Kanzler der römischen Kirche. Solch ein rascher Aufstieg ist selten, aber Hildebrand hatte sich durch Können und Charakter einer noch höheren Würde wert erwiesen: am 22. April 1073 wurde er während der Leichenfeier für seinen Vorgänger durch einmütigen, stürmischen Zuruf von Volk, Klerus und Kardinälen zum Papst gewählt.

Gregor VII., wie er sich in Erinnerung an den Lehrer seiner Jugend nannte, nahm die Wahl nicht leichten Herzens an. Seine Reisen hatten ihm zur Genüge gezeigt, welch gewaltige Arbeit in allen Ländern der Christenheit noch zu leisten war. Niemand konnte höher von der Sendung der Kirche denken als er. Das Reich Gottes unter den sündigen Menschen wiederherzustellen, war das erste Ziel seiner Regierung. Um dieses Ziel zu erreichen, mußte er zwei Grundübel beseitigen: die Käuflichkeit der Kirchenämter und die Sittenverderbnis im Klerus. Beides stand in engem Zusammenhang; denn wer ein Bischofsamt oder die Abtswürde lediglich der Einkünfte und des politischen Einflusses wegen mit Geld erworben hatte, zeigte in der Regel wenig Neigung, ein echt priesterliches Leben zu führen. Vorschriften und Synoden allein genügten nicht, die Schuldigen zu bessern; man mußte das Übel an der Wurzel erfassen und die kirchliche Stellenbesetzung neu regeln. Es gehörte zu den wichtigsten Maßnahmen des neuen Papstes, daß er die Vergabe des kirchlichen Amtes durch einen Laien für unstatthaft erklärte und jede Übertretung mit schweren Kirchenstrafen bedrohte. Ohne es zu wollen, geriet der Papst gerade durch diese für die Genesung der Kirche entscheidenden Dekrete in den Konflikt mit Heinrich IV., der sein ferneres Leben bestimmte.

Der junge deutsche König glich in nichts seinem bedeutenden Vater. Hemmungslos in seinen Leidenschaften, ohne Bedenken in der Wahl seiner Mittel, ohne Achtung vor der päpstlichen Würde und ohne Sinn für die religiöse Mission der Kirche war er bereits von Alexander II. wegen Verschacherung der Kirchenämter gebannt worden. Gregor war geneigt, des Königs Fehler mit seiner Jugend und seinen schlechten Ratgebern zu entschuldigen, unterstützte ihn gegen die siegreichen Sachsen und befreite ihn vom Bann, als Heinrich in seinem Brief Besserung der Mißstände gelobte. Sobald aber Gregor auf mehreren Synoden Ernst machte mit seinem Willen zur Reform und die widerspenstigen Bischöfe kurzerhand absetzte, brach in Deutschland eine offene Revolte aus, und Heinrich IV. machte sich zu ihrem Sachverwalter. Für ihn sprach der Umstand, daß damals die deutschen Bischöfe und Äbte zugleich Reichsfürsten und Inhaber der wichtigsten Kronlehen waren, so daß also der König ihrer Treue unbedingt sicher sein mußte. Deshalb auch sein zähes Festhalten an dem traditionellen Anspruch, erledigte Bischofsstühle nach seinem Gutdünken neu zu besetzen. Hätte er nur würdige und geistlich gesinnte Männer ernannt, wäre es jedoch kaum zwischen ihm und der Kirche zum Bruch gekommen.

Von der Sachsennot befreit und von seinen Räten gegen den Papst aufgestachelt, setzte Heinrich unbekümmert um Gregors Einspruch Bischöfe ein und ab. Als der Papst ihn mehrmals brieflich und durch Gesandtschaften mahnte, erhielt er ein Schreiben des Reichstags zu Worms „An den Bruder Hildebrand“, in welchem die Bischöfe ihm den Gehorsam aufkündigten und der König ihm zurief: „Steig herab von deinem Sitz, befehle ich dir.“ Das war die offene Kampfansage, und Gregor konnte darauf nicht anders antworten als mit der Absetzung und Bannung des Königs. Während aber Heinrich in maßlosem Haß den Papst öffentlich beschimpfen läßt, bleibt Gregor der Priester, dem es nur auf das klare Recht der Kirche, ihre Freiheit von staatlicher Bevormundung und auf die unbehinderte Entfaltung ihrer religiösen Sendung ankommt. Er ist jederzeit bereit zu verzeihen, wenn der König ehrlich einen Ausgleich der kirchlichen und staatlichen Interessen herbeizuführen sucht. Tatsächlich spricht Heinrich, von seinen Fürsten verlassen und der Liebe des Volkes beraubt, in Canossa vor dem Papst das Schuldbekenntnis und wird des Bannes enthoben. Da aber dieser Schritt nur aus äußerem Zwang geschieht, um Reich und Krone zu retten, kann der Friede nicht von Bestand sein.

In der Folgezeit erlebt Gregor eine Enttäuschung nach der anderen. Die deutschen Fürsten haben Rudolf von Schwaben zum König gewählt. Diesem fehlt es nicht an Gründen, den Papst zu bestürmen, den wankelmütigen und arglistigen Heinrich endlich fallen zu lassen. Daß Gregor trotzdem drei Jahre zögert, über Heinrich den Stab zu brechen, ist ein untrüglicher Beweis für seinen Gerechtigkeitswillen. Seit er dem König zu Canossa mit eigener Hand den Leib des Herrn gereicht hat, bringt er es kaum über sich, ihn erneut zu bannen und abzusetzen. Als es schließlich doch geschieht, führt Heinrich sofort den Gegenschlag: er stellt mit den ihm ergebenen Bischöfen zu Brixen einen Gegenpapst auf und zieht mit Heeresmacht gegen Rom. Nachdem er Rudolf von Schwaben vernichtet hat, will er sich auch des lästigen Mahners auf dem Stuhl des heiligen Petrus entledigen. Nach langer Belagerung fällt die Stadt in seine Hand. Gregor rettet sich in die Engelsburg und muß die Normannen aus Unteritalien zu Hilfe rufen, um befreit zu werden. So entsetzlich aber sind die Greuel dieser Straßenkämpfe, daß nun auch die Römer sich gegen den Papst empören. Im Gefolge der Normannen verläßt Gregor die Petrusstadt.

Unbeachtet und von allen Freunden verlassen, ist er am 25. Mai 1085 in Salerno gestorben, bis zum letzten Augenblick überzeugt vom Recht und von der Notwendigkeit seines Kampfes. Er hätte sich durch ein willfähriges Wort von allen Leiden und Verfolgungen retten können, aber er hat lieber Verbannung und frühen Tod ertragen als wider sein Gewissen zu handeln. Mag auch das Wort, das man dem Dulder in den Mund legt, historisch nicht erwiesen sein, es spiegelt doch wie kein anderes die sittliche Größe dieses Mannes wider: „Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und das Unrecht gehaßt, deshalb sterbe ich in der Verbannung.“ Auch im Tode kehrte der große Papst nicht nach Rom zurück. Das ferne Salerno hütet sein Grab.