Gedanken zum Fest Christi Himmelfahrt

von Pater Gerstle


Liturgischer Höhepunkt in diesem Monat ist zweifellos das Fest Christi Himmelfahrt, das wir am 26. Mai begehen. Dies ist ein guter Anlass, den Sinn und das Ziel unseres Lebens noch bewusster in den Blick zu nehmen. Viele Menschen machen sich darüber so gut wie keine Gedanken. Als Priester und Seelsorger bin ich schon mehreren Schwerkranken begegnet, die nur noch eine begrenzte Lebenserwartung hatten und mich wissen ließen, dass sie sich noch nie gedanklich damit auseinandergesetzt zu haben, ob es ein Leben nach dem Tod gibt. Können wir das nachvollziehen? Die Leute machen sich unzählige und teilweise auch berechtigte Gedanken darüber, was alles passieren könnte, ob eine neue Virus-Variante kommt, ob sie möglicherweise ihre Arbeit verlieren, ob sie noch die Miete bezahlen können, wenn die Energiepreise weiter steigen, ob der Krieg in der Ukraine sich ausweitet usw., aber der allerwichtigsten Frage überhaupt weichen sie aus: gibt es ein Leben nach dem Tod und wenn ja, was bedeutet das für uns?

Für uns als gläubige Christen ist der Himmel, die ewige Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott, das Ziel unseres Lebens. Von dem Erreichen dieses Zieles hängt unser ewiges Glück ab. Himmel oder Hölle, das ist das alles Entscheidende, auf das es letztlich ankommt! Dass dies nicht nur eine vage Hoffnung ist, dafür steht die Auferstehung Jesu von den Toten und seine Heimkehr zum Vater. Vor seinem Abschied tröstete Jesus seine Jünger und Apostel: „Ich gehe euch voraus, eine Wohnung zu bereiten (Joh. 14,2).” Doch wie viele Wohnungen im Himmel werden unbelegt bleiben, weil Menschen, für die sie vorgesehen waren, nicht oben ankommen, sondern verloren gehen? Die Sorge um das ewige Heil der Seelen muss uns alle, besonders aber die Priester nach den Worten von Papst Benedikt XVI. mit einer „heiligen Unruhe” erfüllen. Diese „heilige Unruhe“ steht in Gegensatz zu einem heute auch in der Kirche weit verbreiteten und unrealistischen Heilsoptimismus. Das war nie die Haltung der Kirche. Freilich sollen auch wir ein großes Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit haben. Aber Gottes Barmherzigkeit ist immer an das ehrliche Bemühen um das Halten seiner Gebote und die aufrichtige Reue über unsere Sünden gebunden. Jesus sprach noch ein anderes Wort: “Im Hause meines Vaters gibt es viele Wohnungen (Joh 14,2)!”

Ob wir die uns zugedachte „Wohnung“ im Himmel erhalten, hängt davon ab, in welchem Maße wir mit der Gnade Gottes mitgewirkt haben. Leider bleiben selbst jene, welche in der Gnade Gottes sterben und gerettet werden im übernatürlichen Sinn oft unter ihren Möglichkeiten, weil sie Gott nicht das gegeben haben, das sie hätten geben können. In ihrer Liebe und Hingabe, in ihrer Gottes- und Nächstenliebe waren sie schwach und kleinlich, ihre ungeordnete Eigenliebe war zu ausgeprägt, die Lust dieser Welt hatte sie zu sehr vereinnahmt und ihre Bereitschaft, mit Christus das Kreuz zu tragen, war nicht genügend vorhanden. Und so haben sie nicht den Grad an Heiligkeit erlangt und damit den Grad an ewiger Glorie, der ihnen mit der Gnade Gottes möglich gewesen wäre.

Es geht nicht darum, im Sinne eines weltlichen Kaufmannsdenkens nach einem möglichst großen Lohn im Himmel zu schielen, wenn wir als Christen aufgerufen sind, nach Heiligkeit zu streben. Denn was ist der ewige Lohn im Himmel? Nicht eine Sache, sondern die ewige Vereinigung mit Gott in Liebe, die für uns ein Glück bedeutet, das alle unsere irdische Vorstellungskraft übersteigt. Und wahre Liebe kennt kein „genug“. Diese liebende Vereinigung in der Schau Gottes hat für jeden Seligen eine unterschiedliche Intensität und Qualität, auch wenn dies alle im Himmel als vollkommenes Glück empfinden, das nicht mehr übertroffen werden kann. Papst Benedikt XVI. bringt das in seiner Enzyklika „Spe salvi“ so wunderbar zum Ausdruck:

“Ewigkeit ist das Eintauchen in den Ozean der unendlichen Liebe, in dem es keine Zeit, kein Vorher und Nachher mehr gibt. Ewigkeit ist das Leben in Fülle, ein immer neues Eintauchen in die Weite des Seins, in dem wir von Freude und Glück überwältigt werden.”

Im Lichte der Ewigkeit betrachtet, relativiert sich Vieles hier auf Erden. Das irdische Glück ist schnell vergänglich und auch die Leiden verlieren angesichts ihrer begrenzten Dauer an Schrecken. „Das Leben ist kurz”, sagt der hl. Don Bosco, „darum müssen wir uns beeilen, das Wenige zu tun, das man tun kann, bevor der Tod uns überrascht.” Spätestens am Ende unseres Lebens werden wir erkennen, wie recht die Heiligen hatten, indem sie alles auf diese eine Karte gesetzt haben.