Die Armut des Herrn

Gedanken zum Advent

von P. Andreas Fuisting


Wer aus dem Heiligen Land zurückkehrt und dort die Heiligen Stätten besucht hat, berichtet häufig davon in welcher äußeren Einfachheit und Anspruchslosigkeit, ja Armut das Leben Jesu sich bewegt haben muß. Das Wort des hl. Paulus: „Christus hat sich selbst entäußert, hat Knechtsgestalt angenommen und ist den Menschen gleich geworden, und er hat sich erniedrigt“, findet hier seinen Widerhall.

Wenn wir zunächst an Nazareth denken, gerät Maria in unseren Blickwinkel. Künstler der Jahrhunderte haben all ihr Können aufgewandt, um die Ankündigung der Menschwerdung Christi durch den Erzengel Gabriel in aller Schönheit und mit allem Glanz darzustellen, damit die Einzigartigkeit und Größe dieses Geschehens ins Bewußtsein gebracht wird; was es bedeutet hat, als der Engel bei ihr eintrat und sagte: „Gegrüßet seist du, du Gnadenvolle, der Herr ist mit dir!“

Die Wirklichkeit dahinter sieht, von außen betrachtet, jedoch anders aus: kein Reichtum und kein Glanz, keine prachtvollen Kleider und vornehmen Räume. Nazareth ein eher unbedeutender Ort: „Kann denn aus Nazareth etwas Gutes kommen“ hat es damals geheißen! Maria lebte in einer Art Haus wie alle anderen auch: vier Wände aus Lehm oder Ziegel und einem flachen Lehmdach darauf. Sie trug, wohl selbst hergestellte, bescheidene Leinenkleider wie alle anderen Frauen auch. Um an Wasser zu gelangen, mußte sie durch staubige Gassen gehen zur einzigen Quelle des Ortes. Und sie buk jeden Tag den Brotfladen für den Bedarf eines Tages, wie es damals üblich war. Nach außen änderte sich gar nichts in ihrem Leben, sie lebte den Alltag und legte sich abends auf eine ebenerdige Strohmatte, um vom Tagwerk auszuruhen; sie stellte sich nach wie vor in die letzte Reihe der Synagogenbesucher, die für Frauen bestimmt war. So lebte diese Heilige von Nazareth bescheiden, anspruchslos, ja, an unseren heutigen Verhältnissen gemessen, mehr als arm.

In Bethlehem war das nicht anders. Es ist verständlich und auch richtig, daß die Darstellungen der Geburt des Herrn meistens idyllisch – romantisch ausfallen. Nur sollte uns klar sein: mit der Wirklichkeit hat das wenig zu tun. Manchmal liest man von einer Grotte; sagen wir lieber Stall. Oder Krippe? Es war wohl ein Steintrog. Alles zusammen war es eine sehr bescheidene Zuflucht für Hirten und deren Schafe. Die Niedrigkeit der Umstände seiner Geburt setzen sich im Leben Jesu fort, sonst hätte er nicht gesagt: „Die Füchse haben ihre Höhlen, die Vögel des Himmels ihre Nester; der Menschensohn hat nichts, wohin er sein Haupt legen könnte“ (Mt. 8,20).

Überhaupt der ganze Lebensraum des Herrn. Kargheit wohin man blickt: Die trostlose Wüste, in der Christus vierzig Tage und vierzig Nächte hindurch fastete und die er wiederholt durchwandert hat. Den kargen Boden, der mehr Steine zeigt als alles andere. Die große Hitze und das dadurch selten anzutreffende kostbare Wasser; alles mußte zu Fuß geschehen; daß er am Palmsonntag von einem Esel getragen wurde, bildete eine Ausnahme. So hat Jesus sein Wort an sich selbst erfüllt: „Sie sollten weder Beutel noch Tasche noch Schuhe mitnehmen“ (Lk. 10,4). Wie anspruchslos sich der Alltag des Herrn abgespielt haben muß können wir an folgender Geschichte ermessen: als der Steuereinnehmer die Tempelsteuer von ihm verlangte, mußte er Petrus an den See schicken, daß er einen Fisch fange – und beim ersten Fisch, den er gefangen hätte, würde er im Maul eine Vierdrachmenmünze finden; er mußte also seine göttliche Allwissenheit zu Hilfe nehmen, um seiner Verpflichtung nachkommen zu können. Das war das Erdenleben Jesu, uns Menschen gleich geworden – auch und gerade in der Erniedrigung.

Nun könnte jemand sagen: wenn Christus so einfach und anspruchslos gelebt hat, dann hat er sich eben von den Menschen der damaligen Zeit, die ebenso gelebt haben nicht unterschieden. Die Verhältnisse waren nun einmal so! Anders gesagt: Er hätte die Zeit seines Wirkens in einem anderen Jahrhundert ansetzten können. Oder er hätte, wenn es schon damals hätte sein sollen, seine Heimat im Bereich der griechisch – römischen Kultur wählen können; in einer gehobenen Familie, in vielleicht anspruchsvoller Umgebung; in einem Land mit günstiger klimatischer Umgebung. Nein! Christus hat das harte, einfache, anspruchsvolle geradezu arme Leben in Palästina mit den schwierigen politischen und sozialen Verhältnissen ganz bewußt und freiwillig gewählt.

Sollten nicht auch wir etwas in uns lebendig machen von einer Gesinnung bewußter und freiwilliger Einfachheit und Bescheidenheit des Lebens?

Nun möge niemand denken es solle damit die Freude an einem schönen Weihnachten unterdrückt werden. Die Freude an schönen Dingen, die Freude an Geschenken, die man vielleicht bekommt, oder die Freude, andere beschenken zu können. Denn so sehr sich alle, bis auf wenige Ausnahmen, darüber im klaren sind, die übertriebenen Erscheinungen dieser Wochen abzulehnen, so hat das, was die politische Linke gerne vorschnell mit „Luxus“ verwechselt auch seine Berechtigung. Denn wie viele verdienen ihren Lebensunterhalt dadurch, daß es Menschen gibt die Geld ausgeben können. Darum geht es also nicht! Es geht darum, daß wir uns innerlich die Freiheit bewahren gegenüber Besitz und Eigentum. Daß wir das Herz nicht daran verlieren. Daß wir nicht meinen darin bestünde das Glück des Lebens. Und daß wir es leicht nehmen, wenn das Leben uns manches versagt.

Schaffen wir uns also freiwillig einen Bezirk, in dem wir bewußt auf dieses oder jenes verzichten. Denken wir dabei, um diesen Verzicht noch wertvoller zu machen, an die stetig zunehmende Zahl der Abertausenden von Armen. Die sich bereits in den Anfängen herausbildende Weltwirtschaftskrise schädigt am stärksten die, die sowieso nichts haben. Wohl dem, der ein weites Herz hat!

Nun gehen wir hinein in den heiligen Advent. Möchten uns die Adventskerzen von Woche zu Woche heller und leuchtender zu erkennen geben: Seht, welche Liebe uns der Heiland in seiner Erniedrigung erwiesen hat!